CD Project RED lud uns auf der GamesCom zu einer einstündigen Präsentation hinter verschlossenen Türen ein. Gezeigt wurde einer der am heißesten erwartete Titel unserer Zeit, Cyberpunk 2077. Wir freuten uns direkt das Team wiederzusehen und geben euch in unserem Bericht die Erfahrung weiter.
Großartig vorstellen muss CDPR uns Zuschauern nicht mehr. Seit der letztjährigen E3 häufen sich die Informationen. Das First-Person-Rollenspiel im Cyberpunk-Universum ist das nächste große Ding der Witcher-Macher und verspricht neue Maßstäbe zu setzen. Statt uns mit stolzen Phrasen abzuspeisen, zeigt der Senior Leveldesigner Miles Tost eine Live-Demo eines aktuellen Builds. Wir bekommen eine ungefähr 45-minütige Mission zu sehen, bei der in erster Linie die unterschiedlichen spielerischen Möglichkeiten vorgestellt werden sollen.Alles beginnt mit der Charakterstellung. Und hier könnten bereits die ersten Zweifel aufkommen. Wer Geralt in The Witcher kennen und lieben gelernt hat, wird sich vielleicht um das Charisma eines eigenhändig erstellten Charakters sorgen. Wo andere Spiele aber einem Charaktereditor oftmals den Fokus der Inszenierung auf die Umgebung richten, ist Cyberpunk 2077 weiterhin ein Charakter-getriebenes Rollenspiel. V, unsere Heldin oder unserer Held der Geschichte, steht immer im Mittelpunkt, wird prominent synchronisiert und agiert übermäßig aktiv. Wir erinnern uns hier optimistisch an Commander Shepard der Mass Effect-Trilogie und freuen uns über die zusätzliche Individualisierung.
Vielversprechend ist die Story. Dank den talentierten Schreibern der Witcher-Trilogie und der Hilfe des Cyberpunk-Creators Mike Pondsmith erwarten wir nicht nur einer aufregende Scifi-Abhandlung, sondern facettenreiche Hintergründe, die sich von neokulturellen Konflikten bis hin zu philosophisch-dystopischen AI- und Bewusstseinsfragen erstreckt. Das zentrale Thema hierbei sind kybernetische Augmentierungen, die aber nicht nur naheliegende Themen aufgreifen, sondern in die tiefe Idee der Unsterblichkeit hineinreichen.
Bei der präsentierten Mission ecken wir diese Themen immer wieder an, denn wir versuchen das Geheimnis hinter einem mysteriösen Biochip zu lüften, der uns eingepflanzt wurde. Dafür verfolgen wir eine Spur, die uns quer durch die offene Welt von Night City führt. Dabei offenbart sich uns eine Welt, die in ihrer Lebendigkeit vergangene Open Worlds in den Schatten stellt. Alles lebt, alles agiert und reagiert, alles bebt vor Vielfalt und Ideen, und schrillen Charakteren. Diese Stadt ist natürlich und authentisch, und sie ist gleichzeitig etwas völlig anderes, ein neonfarbener Untergang, und unsere Neugier möchte ihre Nase in jede Gasse lenken.
Hilfe suchen wir bei den Voodoo Boys, einer technisch versierten Gruppe haitianischer Abstammung. Der kulturelle Hintergrund spiritueller Natur übersetzt sich in der Zukunft zu außerordentlichen Hackingfähigkeiten, die unsere Vorstellungen weit übersteigen sollen. Unser Ziel ist die Anführerin und Superhackerin Mama, aber so einfach kommen wir an sie nicht heran und wir werden erst ins schwarze Ghetto in eine Kirche gelockt, um letztendlich den respektierten, äußerlich bedrohlichen, aber auch innerlich starken „Fleischer“ kennenzulernen, der uns nach einigen aufregenden Wortgefechten einen Auftrag erteilt.
Was mich hierbei aber besonders beeindruckt hat, ist die Implementierung der Storyinszenierung. Auch in den Meilensteinen dieser Generation, in einem Red Dead Redemption 2 oder Uncharted 4 herrscht immer ein Bruch zwischen Gameplay und Storysequenzen. Hier fließt alles ineinander über. Die Regie ist dieselbe, die Kameraarbeit ändert sich nicht, es wird lediglich ein Stück weit die Aktivität aufgegeben. Hier überträgt Cyberpunk 2077 die Regieprämisse eines God of War in eine riesige, lebendige offene Stadt.
Wobei wir hier niemals völlig passiv sind. In den Storysequenzen arbeiten wir uns durch umfangreiche Dialogbäume, die jede Mission, aber auch den gesamten Verlauf der Geschichte grundlegend beeinflussen. Und noch mehr als beim Witcher spielen unsere Attribute und Fähigkeiten eine große Rolle in den Dialogoptionen. Wer einen Charakter erstellt hat, der von der Straße kommt, wird es im Untergrund leichter haben, wohingegen ehemalige Wirtschaftsexperten vielleicht mehr Verhandlungsgeschick beweisen müssen oder einfach mit genug Style und Modegeschmack punkten müssen. In jedem Fall ist Cyberpunk 2077 trotz der Egoperspektive und Shootingmechaniken ein vollwertiges Rollenspiel, bei dem viele Rädchen im Hintergrund arbeiten.
Das macht sich auch im Kerngameplay direkt bemerkbar. In dieser Mission infiltieren wir eine Basis der Animals, einer Gruppierung, bestehend aus aggressiven Muskelbergen mit übermenschlicher Stärke und Geschwindigkeit. In der Präsentation wechselten wir zwischen mehreren vorgefertigten Charakteren hin und her, um die vielfältigen Möglichkeiten unter Beweis zu stellen.
Zunächst schlichen wir uns durch das Gelände, vermieden den Kampf komplett oder griffen mit einer Art Lichtpeitsche lautlos von hinten an und zerschnitten so die Gegner in Windeseile in Einzelteile. Auch lässt sich die Umgebung zu unserem Vorteil nutzen. An einer Stelle schlugen wir ruckartig den Kopf eines Gegners gegen einen Müllschlucker und beförderten ihn in einer Bewegung in diesen hinein. So spart man sich auch das lästige Verstecken der Leichen. Passend zu unseren Stealthfähigkeiten hatte der Charakter auch einige Punkte in Hackskills investiert. So konnten wir nicht nur verschlossene Türen öffnen und über Kameras die Umgebung ausspähen, sondern vereinfachten uns auch einen riesigen Kampf erheblich.
An einer Stelle sahen sich die Animals einen Boxkampf, Mensch gegen Maschine, an. Wir hackten auf Distanz den Roboter und erhöhten seinen Schwierigkeitsgrad ein bisschen. Mit einem Schlag schlug er so seinen menschlichen Opponenten tot, was die Zuschauer aufschrecken ließ und uns eine Gelegenheit bot, dem Kampf aus dem Weg zu gehen.
Natürlich kann man auch mit dem Kopf durch die Wand. Als körperlich verbesserter Krieger brechen wir verschlossene Türen einfach auf, reißen montierte Maschinengewehre von Angriffsrobotern einfach heraus und nutzen die Waffe, um unsere Gegner zu pulverisieren, während die ganze Umgebung in Schutt und Asche gelegt wird und Leichenstücke den Boden pflastern. Beim Bosskampf gegen eine Hammer-schwingende Supersoldatin können wir dann sowohl Köpfchen als auch Körperkraft beweisen und entschärfen erst einmal ihr Chemiereservoir, das ihr genug Stärke verleiht, um die mächtige Waffe überhaupt tragen zu können, um dann selbst die diese zu nutzen. Aber Vorsicht, in Cyberpunk 2077 schlummert immer etwas hinter der oberflächlichen Fassade. In dem Fall hat auch die Bossgegnerin einiges an Hackingkompetenz und erschwert uns den Kampf mit Attacken auf unsere technischen Verbesserungen.
Auch hier fühlt sich alles sehr intuitiv und homogen an und die Entwickler versprechen unzählige gleichwertige Lösungen, so dass wir am Ende das Spiel ohne ein Opfer durchspielen können oder Night City als wandelnde Gefahr besuchen.
Ausblick:
Diese außerordentlich hochwertige Mischung aus filmreifer Inszenierung, lebendiger Erkundung und spielerischer Komplexität schafft ein referenzwürdiges Gesamtbild, das wir auf dieser Konsolengeneration nicht mehr erwartet hätten. Dabei strahlt auch die Grafik audiovisuell und stilistisch mit viel Liebe zum Detail. Trotzdem gibt es noch einige Bugs und Schwächen in der Bildqualität, die hoffentlich bis zum Release im April 2020 behoben werden. Die Entwickler zeigen sich optimistisch und uns juckt es abermals in den Fingern. So langsam erlischen alle Zweifel und es bleibt das gute Gefühl, dass CD Project RED mit Cyberpunk 2077 einen weiteren Meilenstein in der Mache hat, der sich nicht nur neben The Witcher 3 einreiht, sondern ihn siegessicher übertrumpft. Wer noch Überzeugungsarbeit braucht, geduldet sich wenige Tage bis zur PAX West und bekommt einen Zusammenschnitt der Mission aus erster Hand.
(geschrieben von eape)