Vanillaware hatte sich nach den erfolgreichen 2D-Actiongames Odin Sphere, Muramasa und Dragon’s Crown etwas rar gemacht. Zwar erhielten wir hier und da noch eine Neuveröffentlichung, aber auf ein gänzlich neues Projekt mussten wir lange warten. Jetzt ist es endlich soweit. 13 Sentinels: Aegis Rim steht bei Publisher Atlus in den Startlöchern und zu aller Überraschung entfernt es sich sehr von den bekannten Werken des Studios und vermischt das Visual Novel-Genre mit Echtzeitstrategie. Verrückt? Das ist erst der Anfang.. In unserem Test erfahrt ihr mehr zu diesem mutigen Experiment des Traditionsstudios.
Was ist die Realität und was eine Illusion? Wenn es nach Salvador Dali geht, dann werden wir eines Tages zugeben müssen, dass unsere Wirklichkeit eine noch viel größere Illusion als die Welt des Traumes ist. So erscheint es auch unserem unbedachten Helden Juro Kurabe, einem unauffälligen Schüler, dessen alltägliche Realität, ein gewöhnliches Jugendleben in den 80er-Jahren zwischen Pausenhof und gemeinschaftlichen Kinobesuchen, allmählich ins Wanken gerät als er erfährt, dass gemeinsame Träume ihn und seine verschlafene Schulkameradin Iori Fuyusaka verbinden.
Das ist eine Prämisse, die sich einer gewissen Romantik nicht entziehen kann und übrigens auch nicht will, aber schnell ins Dramatische abstürzt, wenn diese unfreiwilligen gemeinsamen Ausflüge, sie in eine dystopische Zukunftsvision führen, in der riesige insektoide Roboter den Planeten und die dazugehörige Menschheit auslöschen. Was nicht zufällig nach Juros Lieblingsfilm Der Krieg der Welten basierend auf dem klassischen Science-Fiction-Roman klingt, hat hier den entscheidenden Vorteil, dass unsere beiden Helden sich mit tausend Tonnen schweren Mechas, den Sentinels, zu wehren wissen.
Dabei sind sie nicht alleine, – und an dieser Stelle wird das ganze Konstrukt interessant – sondern kämpfen um das nackte Überleben und den Fortbestand der Menschheit mit Schulfreunden und schulnahen Bekanntschaften; keine Überraschung: Zusammen zählen sie 13 Sentinels. Der Knackpunkt daran ist, dass jeder der dreizehn Teenager seine eigene Geschichte mit eigener Dramaturgie hat und wir das große Ganze, ein komplexes Geflecht aus unterschiedlichen Zeitlinien, Realitäten und Illusionen aus diesen dreizehn Perspektiven erleben, und erleben müssen um es in seiner Gesamtheit zu begreifen.
Das geschieht in erster Linie über ein Fundament, das uns von anderen Visual Novels bekannt sein dürfte. Wer beispielsweise die Zero Escape-Serie kennt, wird sich schnell zurechtfinden. Wir bekommen pro Charakter einen abzweigenden Zeitstrahl spendiert, den wir mit Hilfe unterschiedlicher Entscheidungen Stück für Stück erkunden. Wo die meisten Genreableger aber sehr passiv sind und den Begriff Novel wörtlich nehmen, können wir in 13 Sentinels: Aegis Rim das Gameplay sehr aktiv gestalten. Wir bewegen uns in einer 2.5D-Umgebung wie wir sie von den meisten Vanillaware-Spielen kennen und können mit unterschiedlichen Charakteren und Objekten interagieren. Das verschafft uns hingegen neue Themen in unserer Gedankenwolke, die wir dann nutzen können, um die Story weiter voranzutreiben und die Hintergründe kennenzulernen. Wenn wir dann einen Abschnitt wiederholen, können Gedanken aus dem vorherigen Lauf, die alten Szenen in eine neue Richtung lenken. Das mag etwas wirr klingen, am Ende ist 13 Sentinels aber ein Visual Novel, das sich angenehm flüssig spielen lässt und keiner Guides bedarf um alle Enden und natürlich das heiß ersehnte, gehirnverrenkende True Ending freizuschalten.
Aber dafür reicht es nicht, sich lediglich durch die Geschichten der einzelnen Charaktere hin und her zu hangeln, wir müssen auch in die titelgebenden Sentinels steigen und uns gegen die Invasion zur Wehr setzen. Das stellt nicht nur das Szenario ziemlich auf den Kopf, sondern auch das Gameplay. Statt gemütlich ohne viel Anstrengung einer spannenden Geschichte zu folgen, geht es hier ums Eingemachte. Das Schlachtfeld ist eine Stadt aus der Vogelperspektive. Wir starten mit sechs Sentinels und müssen alle feindlichen Roboter zerstören oder unsere Basis lang genug halten bis eine mächtige EMP-Explosion das für uns erledigt. Das läuft als Echtzeit-Strategiespiel ab, wobei das Spiel großzügig bei der Auswahl von Aktionen das Geschehen pausiert und die eigentliche Spielerfahrung schon eher an rundenbasierte Games erinnert. Da unsere Sentinels nicht nur offensive Fähigkeiten im Repertoire haben, sondern auch je nach Klasse defensiv gut gerüstet sind und die Verteidigung des Hauptquartiers eine wichtige Rolle spielt, lassen sich auch die Tower Defense-Einflüsse nicht leugnen. Natürlich können wir zwischen den einzelnen Events unsere Sentinels auch verbessern, lernen neue Aktionen und erweitern unsere strategischen Möglichkeiten, so wirklich aufregend wird dieser sekundäre Teil des Spiels aber nicht. Die spielerischen Möglichkeiten treffen schnell auf ihre Grenzen und den einzelnen Missionen mangelt es an Abwechslung. Die rudimentäre graphische Umsetzung bietet auch nicht genug Schauwerte, um zumindest bei der Inszenierung zu punkten. Dieser Part ist zweckmäßig, allerdings keineswegs störend und nimmt nur einen kleinen Teil der Spielzeit von insgesamt ca. 30 Stunden ein.
Wo das Strategiespiel etwas enttäuscht, kann dafür der Rest von 13 Sentinels punkten. Wer das Art Design der Vanillaware-Spiele zu schätzen weiß, sich an den handgezeichneten Figuren und Hintergründen von Muramasa, Odin Sphere und Dragon’s Crown nicht satt sehen kann, wird auch hier Gefallen an der Optik finden. Gerade die kleinen dynamischen visuellen Effekte wie Lichtstrahlen, die alte Schulgebäude durchfluten, Blätter, die im Wind wehen und die Animationen der destruktiven Höllenmaschinen haben es mir angetan. Nicht zu vergessen ist auch das Markenzeichen von Vanillaware, detailliert ausgearbeitete, appetitanregende Speisen der japanischen und internationalen Küche. Untermalt wird das abwechslungsreiche Drama mit einem ebenso abwechslungsreichen Soundtrack, der von erwarteten 80s-Scifi-Synthie-Beats bis hin zu japanischen Pop-Idol-Tracks alles bietet und durchgängig überzeugt.
Die Entwicklerszene aus Nippon hat den Twist perfektioniert. Visual Novels leben von dem erwarteten Überraschungseffekt, wenn viele Stränge zueinander finden und dann doch ganz anders zusammenhängen als es den Anschein hatte. Und 13 Sentinels: Aegis Rim ist da keine Ausnahme. Was 13 Sentinels besonders macht, ist der Weg dorthin. Zum einen setzt das Spiel nicht darauf, den Spieler hinters Licht zu führen. Der Twist baut sich allmählich auf, von Anfang an gibt es deutliche Hinweise auf das wahre Ende und wir kommen der Wahrheit immer näher ohne einer Illusion ständig ausgeliefert zu sein. Das schafft 13 Sentinels trotz einer non-linearen Geschichte, die verwirrt und dennoch sicher zusammengehalten wird. Und das schafft 13 Sentinels auch mit über einem Dutzend Handlungssträngen, die alle über ihren eigenen Spannungsbogen und auch ihren eigenen Stil verfügen. Da klärt man als Hobbydetektivin ein Mysterium auf, erfährt in einem Scifi-Thriller hochtechnische Zusammenhänge und erlebt nebenbei verworrene Beziehungsdramen, auch über konservative Geschlechterrollen hinweg, die trotz der abgedroschenen Hintergründe menschlich und greifbar sind.
(getestet von eape)