Er ist ein Mann der wenigen Worte. Als er die Militärbasis betritt, schrecken die Mitarbeiter ehrfürchtig zurück. Stumm greift er zur ID-Card des erstarrten Angestellten und zieht ihn mitsamt Bürostuhl zur Identitätskontrolle. Instinktiv versuchen zwei Wachsoldaten ihn zu stoppen. Als sie ihn jedoch erkennen, schweigen auch sie. Mit einer Hand schnappt er sich selbstsicher das Plasmagewehr des demütigen Militärs. Aus den Lautsprechern dröhnt es nüchtern: The Slayer has entered the facility. Und vor ihm öffnet sich die wahr gewordene Hölle. Dämonen veranstalten unter blutrotem Himmel ein gewaltvolles Massaker. Harte, monströse Gitarrenriffs setzen ein. Mit einem Fleischhaken zieht sich der Slayer, unser Protagonist, an den tollwütigen Gargoyle, bevor er ihm eine Ladung Schrot im Gesicht versenkt und blutrünstig seinen Kopf mit bloßen Händen zerreißt. Im Hintergrund schreien aufkommende Höllenbestien auf und die brutal-makabere Gewaltorgie beginnt.
Doom Eternal tritt in die Fußstapfen des 2016er Reboots der legendären Serie, die mit dem dritten Ableger die Wurzeln des puristischen Shooters zugunsten einer zeitgemäßen Horrorerfahrung abtrennte, um dann schließlich wieder dem revolutionären Original die Treue zu schwören. Und das mit Erfolg. Die Entwicklerurgesteine von id Software feierten mit einem pointierten Arcade-Shooter in einer Generation von storyfokussierten Spielen mit angetackerten Rollenspielmechaniken eine gelungene Wiederbelebung. Ein Nachfolger war demnach nur eine Frage der Zeit, und nach einer langwierigen Entwicklung stiegen mit jedem Jahr nicht nur die Vorfreude und die Erwartungen, sondern auch die Neugierde, was uns hier für Neuerungen bevorstünden.
Und das nicht zu unrecht. Denn wer hier more-of-the-same erwartet, wird eines Besseres belehrt werden. Doom Eternal tut viel mehr als den Vorgänger zu ergänzen, das Spiel postuliert neue Regeln des Gamedesigns und referiert sich selbst, wenn nach einigen Stunden ingame das Achievement “Nontraditionalist” aufploppt. Trotzdem besteht kein Grund zur Sorge, denn jede neue Gameplayneuerung formt den bekannten Rohdiamanten zu einem geschliffenen Edelstein aus Blut, Tempo und konzentrierter Dynamik.
Blut und Tempo kennen wir allzu gut von den Doom-Spielen. Die Dämonenjagd ist brutal und auf beiden Seiten äußert aggressiv. Verschnaufpausen werden einem nicht gewährt. Die einzige Defensive ist der Fuß auf dem imaginären Gaspedal: Ständige Bewegung in der Horizontalen und Vertikalen. Das wird jetzt auch mit mehreren neuen Fähigkeiten begünstigt. Auf Knopfdruck dashen wir in eine beliebige Richtung. Das nutzen wir um schnell an den Gegner zu kommen, Angriffen auszuweichen oder entfernte Plattformen zu erreichen. Mit dem Greifhaken der Super Shotgun ziehen wir uns an Gegner und die Umgebung bietet überall Stangen zum Schwingen und Booster für weite und hohe Sprünge.
Der Gamechanger ist aber das innovative Ressourcenmanagement. Geschwächte Gegner werden wie gewohnt mit einem erbarmungslosen Gewaltakt, dem Glory Kill, für Gesundheit erledigt. Mit der Kettensäge halbieren wir auf besonders sadistische Weise Monster für eine gute Portion Munition. Und neu ist der Flammenwerfer, der flambierte Gegner Rüstung fallen lässt. Abseits dieser Methoden sind die Ressourcen rar gesät, und man wird selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad dazu gezwungen, Glory Kills, Kettensäge und Flammenwerfer gezielt und effektiv einzusetzen, um nicht praktisch nackt vor einer Höllenarmee zu stehen.
Zur weiteren Dynamik trägt das Gegnerdesign bei. Es lassen sich jetzt Einzeilteile der Monster zerstören. Der mechanisch verbesserte, spinnenartige Arachnotron zerlegt euch mit seinem hochpräzisen Laser aus Distanz? Mit der Sniper wird das Geschütz zerstört und unser achtbeiniger Freund feuert nur noch langsame Projektile und setzt vorwiegend auf den Nahkampf. Ein Hell Knight stürmt auf euch zu? Ein Schuss ins Knie und er gerät ins Humpeln und ihr setzt mit der Shotgun nach. Und der stark gepanzerte, übergewichtige Cyber-Mancubus wirkt plötzlich ganz klein, wenn man ihm mit einem Blood Punch die Rüstung auszieht. Auf jeden Gegner gibt es eine oder gleich mehrere Antworten. Und während man anfangs noch röchelnd nach Luft schnappt und planlos in der Umgebung nach Ressourcen sucht, spielt man sich schnell in einen abwechslungsreichen Gewaltrausch, in dem Gegner mit allen Hölleninstrumenten gleichmäßig bearbeitet werden und jedes Monster ist nicht nur eine Bedrohung, sondern gleichzeitig die nächste Treppenstufe zum kreativfreudigen Massaker. Eine offensive, abwechslungs- und einfallsreiche Spielweise wird hier direkt mit zerfetzten Gegnern und sprudelnden Ressourcen belohnt, die allerdings auch mit bunten Grafikeffekten den Arcadecharakter des Spiels unterstreichen, statt sich völlig dem düsteren Horror hinzugeben.
Das macht Doom Eternal zu einem absoluten Designmeisterwerk im Shooterbereich. Es ist ein ungeheurer Spaß sich konzentriert und bedacht in einem schier unmenschlichen Tempo durch die Invasion aus der Unterwelt zu pflügen. Es ist so viel mehr als die bekannte stumpfe Aimingabfrage des Genres. Hier bleibt man immer konzentriert und wird ständig neu herausgefordert, wobei der richtige Schritt nach vorne auch immer ein Schritt Richtung mehr erfolgsgekrönter Aggressionen ist, die der Name Doom in der Gamingszene symbolisiert.
Der Tropfen auf dem heißen Stein ist hier ein Gegner, der in der Mitte des Spiels eingeführt wird und dann regelmäßig, wenn auch insgesamt selten anzutreffen ist: der Marauder. Er ist ein defensives Ungetüm, ein Bollwerk aus Schild und Shotgun, der jeden Angriff vollständig blockt. Nur in einem kurzen Moment, wenn er seinen Schild zurückzieht um mit der Axt anzugreifen, lässt er sich kontern. Das erfordert von uns aber einen ständigen Fokus auf diesen einen Gegner. Jetzt sind wir nahezu stationär am Boden gefesselt und warten mehrfach eine bestimmte Animation ab, um zurückschlagen zu können. Das nimmt dem Gefecht das aggressive Tempo und bremst das Spiel zu einem unnötigen Reaktionsspiel.
Doom Eternal ist sich der Ermüdungserscheinungen des Vorgängers bewusst. Wenn ein Arenakampf dem nächsten folgt, sind fünfzehn Stunden Spielzeit eine kleine Ewigkeit. Doom Eternal kürzt allerdings nicht die Dauer bis zum Ende, sondern füllt die Spielzeit mit bedeutungsvollen, einzigartigen Inhalten. Ein Level kann dabei oft nur fünf große Arenagefechte haben. Der Rest wird aufgefüllt mit Geschicklichkeitspassagen und kleinen Rätseln. Skepsis macht sich direkt breit, wenn man an die notdürftigen Sprungeinlagen des Vorgängers denkt. Aber da sorgt das Spiel direkt selbst für Entwarnung. Hier sind die Platformingabschnitte und Umgebungsrätsel motivierend ins Leveldesign eingebettet und belohnen mit Secrets und Upgrades. Sie sind kurz und angenehm knackig. Oft wird man eine Sekunde innehalten müssen, um auf die Lösung zu kommen. Das sorgt für anspruchsvolle Abwechslung ohne das Core-Gameplay zu zu verwässern.
Es lässt uns aber auch die eindrucksvollen Umgebungen bestaunen. Doom Eternal ist ein wahr gewordenes Heavy Metal Cover. Gotische Ruinen zieren die Höllenpforten und vereinen sich mit post-apokalyptischer menschlicher Architektur, der Himmel wird vom Feuerregen rot gefärbt bis das grelle Aufblitzen der Superwaffe BFG-10000 die Welt ins künstliche Grün tränkt. Doom Eternal fängt hier die Atmosphäre seiner Artworks gekonnt ein und macht die Reise durch die Unterwelt zu einer ausgesprochenen Augenweide, die dank neuster id tech-Engine und einem phänomenalen, händisch produzierten Sounddesign und des jetzt schon legendären Soundtracks des renommierten Musikers Mick Gordon mit Freunden aus der Metal-Branche, auch technisch neue Maßstäbe setzt.
Die abwechslungsreichen Level entspringen aber keinem willkürlichen Selbstzweck. Doom Eternal setzt nicht viel, aber deutlich mehr als der Vorgänger auf die Narrative. Immer wieder kommt es zu kurzen Szenen zwischen dem Doom Slayer und den Hell Priests, den Anführern der höllischen Invasion. Sie sind gezeichnet durch eine simple, aber funktionierende Handlung, die dem Spiel Raum für inhaltliche Badassness schafft. Jedes Aufeinandertreffen ist ein kleiner Höhepunkt an eiskalter Abgebrühtheit und brachialer Gewalt des wortkargen Helden.
So ganz lassen dem Spiel die Trends unserer Zeit aber nicht kalt. Das Charaktermanagement ist noch relativ harmlos und gibt uns in erster Linie mehr Möglichkeiten im Kampf statt Statuswerte zu erhöhen. Im Hintergrund werkelt aber zugleich die Game-as-a-Service-Maschinerie. Wir erhalten nach abgeschlossenen Leveln und Herausforderungen XP, die einen Battle Pass füllen und wir werden mit Skins, Posen und Bildchen belohnt. Im asymmetrischen Slayer-vs-Dämonen-Multiplayer können wir dann unsere Errungenschaften zur Schau stellen und zeitbegrenzte Master Challenges remixen die bereits bekannten Level noch einmal neu und stellen uns vor schweißtreibende Prüfungen. Wer will kann also noch viele zusätzliche Stunden mit dem Spiel verbringen.