Mit Gears of War 3 beendete der Delta-Trupp rund um Marcus Fenix endgültig den Krieg gegen die Locust und Epic Games verabschiedete sich von seiner beliebten Videospielreihe. Fünf Jahre und ein von den Fans mehr schlecht als recht aufgenommenes Gears of War: Judgment später, wird die Kettensäge nun wieder angeworfen. In Gears of War 4, dem ersten Spiel von Microsofts neuem Entwicklerstudio The Coalition (ehemals Black Tusk Studios). Ob sie die hinterlassenen Fußstapfen von Epic erfolgreich ausfüllen können, lest ihr in unserem Review.
25 Jahre sind vergangen seit Marcus Fenix und sein Delta-Trupp die Locust vernichten konnte und vieles hat sich in dieser Zeit verändert: Flora und Fauna auf dem Planeten Sera erobern die in den Locust-Kriegen zerstörten Städte zurück, riesige Stürme ziehen regelmäßig über die Planetenoberfläche hinweg und die Menschheit erholt sich langsam. Während die Regierung vor allem damit beschäftigt ist, neue Städte mit Hilfe von automatisierten Robotern zu errichten, lebt ein Großteil der Bevölkerung zurückgezogen in ländlichen und provisorischen Siedlungen. Dort treffen wir auch auf J.D., Del und Kait, drei Freunde und die Protagonisten von Gears of War 4, die gerade dabei sind Arbeitsgerät aus einer naheliegenden, noch im Bau befindlichen KOG-Stadt zu stehlen, um ihre eigene Siedlung wieder mit Strom versorgen zu können. Doch wäre das bei den bewaffneten Roboter-Wachen nicht schon schwer genug, tritt auch noch eine neue Bedrohung auf den Plan, welche erneut die gesamte Menschheit bedrohen könnte…
Der Plot von Gears of War war noch nie sonderlich intellektuell oder vielschichtig, hat in seinem Universum aber immer Sinn ergeben und konnte mit Testosteron-geschwängertem Witz, einer guten Portion Drama und einem simplen, aber effektiven Spannungsbogen bei Laune halten. Selbiges gilt auch für Gears of War 4. Inhaltlich bewegt es sich irgendwo zwischen Fortsetzung und Neustart. Einerseits erzählt es die Geschehnisse, mit einigen Jahren Abstand, gekonnt weiter und verweist nicht nur einmal auf die alte Trilogie. Andererseits bringt es durch die neuen Charaktere und Gegenspieler so viel Eigenständigkeit mit sich, dass man es auch ohne Vorwissen gut spielen kann – dabei aber einige durchaus ergreifende Momente verpassen bzw. nicht verstehen würde. Man merkt jedoch zu jeder Zeit, dass Gears of War 4 bloß der Anfang einer neuen Reise und erster Teil einer weiteren Trilogie ist. So tritt die übergreifende Geschichte lange Zeit auf der Stelle und präsentiert eigentlich erst in der Schlussszene, welche dazu noch sehr abrupt erfolgt, ihre Prämisse. Diese ist aber sehr vielversprechend und lässt mich bereits jetzt der Fortsetzung entgegenfiebern. Wie schon in den Vorgängern gewinnt die Story bestimmt keinen Blumentopf, funktioniert als treibende Kraft aber dennoch ordentlich und macht schlussendlich sogar Lust auf mehr. Dazu sind die neuen Charaktere sympathisch und ihre lässigen Sprüche zünden erstaunlich oft. Auch wenn sie insgesamt eher austauschbar und lange nicht so einprägsam wie der Delta-Trupp wirken. Überhaupt ist Gears of War 4 etwas bodenständiger als die Trilogie aus dem Hause Epic Games. Anstatt total überzeichneter B-Movie Action und teils unfreiwilliger Situationskomik, ist die Inszenierung diesmal ein bisschen geerdeter und „menschlicher“, ohne aber dabei ihre Herkunft zu verleugnen. Markige Sprüche, herrlich übertriebene Action und stumpfe Gewalt gehören nämlich immer noch dazu. Und das ist auch gut so.
Beim Gameplay hat sich The Coalition bewusst gegen allzu viele Experimente entschieden, was von Anfang an nur ein Fazit zulässt: Gears of War 4 fühlt sich an wie Gears of War. Wir kämpfen uns wie gewohnt von Bereich zu Bereich, suchen Schutz hinter den überall platzierten Deckungsmöglichkeiten und schießen mit brachialen Waffen auf blutig zerplatzende Gegner. Das Deckungssystem funktioniert perfekt, die Steuerung ist direkt, die Waffen sind befriedigend. Gears of War hat das Genre des Deckungsshooters quasi erfunden und perfektioniert und Teil 4 macht genau da weiter. Um dem Ganzen noch mehr Dynamik zu verleihen, haben die Entwickler gleich mehrere intelligente Detailverbesserungen durch- und Neuerungen eingeführt. So können wir uns nun beispielsweise in einem Rutsch über eine Deckung schwingen und dabei den dahinter kauernden Gegner umwerfen. Oder wir greifen einfach über die Deckung und ziehen den schleimigen Mutanten auf unsere Seite, um ihn im Nahkampf zu erledigen. Die neuen Waffen, wie etwa Sägeblätter verschießende Baumaschinen, fügen sich ebenfalls gut in das bekannte Arsenal und Gameplay ein – auch wenn der klassische Lancer unerreicht bleibt und eindeutig meine bevorzugte Waffe war.
Neu sind auch die Stürme. Diese sehen nicht nur fantastisch aus, hüllen die Szenerie in ein bedrohliches orange-braunes Licht, lassen Blitze über den Himmel zucken und Gebäude wackeln, sie wirken sich auch auf die Spielweise aus. Der Sturm erschwert das Laufen, wir sind langsamer und können uns nur hinter Deckungen normal bewegen. Granaten und andere (Wurf)Geschosse werden beeinflusst und herumstehende Gegenstände zuweilen zu tödlichen Geschossen. Lösen wir zum Beispiel den Sicherheitsgurt einiger (explosiver) Fässer, rasen diese daraufhin ungebremst über das Schlachtfeld und zerschlagen wenn es gut läuft gleich den ganzen feindlichen Trupp. Weiter sind da noch Blitze, deren Einschläge schon fast Endgegner-Angriffsmustern in Shoot’em Ups gleichen und denen wir besser nicht zu nahekommen sollten.
Zu guter Letzt hat The Coalition die Gegnertypen nahezu verdoppelt. Neben altbekannten Fußtruppen mit unterschiedlicher Bewaffnung und größeren, widerstandsfähigen Brocken, gibt es in Gears of War 4 eine komplett neue Bedrohung, welche teilweise die gesamte Spielmechanik umkrempelt. Um die zahlreichen Überraschungen in dieser Beziehung nicht zu verderben, möchte ich das auch nur kurz an einem neuen Gegner, der bereits in der allerersten E3 Präsentation 2015 gezeigt wurde, verdeutlichen: der Springer. Ein übergroßes, fieses Gürteltier, das Stacheln aus seinem Schwanz verschießen. Der Witz ist, dass es sich nicht, wie üblich, hinter einer Deckung versteckt, sondern auf jene springt und uns von dort aus attackiert. In diesen Momenten wird die Deckungsmechanik ausgehebelt und wir müssen durch gezieltes Ausweichen und Schüsse auf den (verwundbaren) Bauch der Viecher ums Überleben kämpfen. Solche neuen Gegnertypen gibt es einige und besonders interessant wird es, wenn gleich mehrere von ihnen gleichzeitig auftreten.
Die künstliche Intelligenz ist gewohnt gut. Feinde treiben uns mit gezielten Granaten aus der Deckung, gehen bei Bedarf in den Nachkampf über oder ziehen sich zurück, wenn es brenzlig wird. Auf höheren Schwierigkeitsgranden treffen sie dann auch noch genauer und halten mehr aus, was für einige schweißtreibende Auseinandersetzungen sorgt, die aber immer fair bleiben – außer es schießt uns mal wieder der hässliche Arkon-Bogenschütze einen Pfeil quer über das Schlachtfeld mitten ins Gesicht. Argh.
Durch all diese Änderungen (Gegnertypen, Movement, Waffen, Stürme, etc.) spielt sich Gears of War 4 deutlich dynamischer und abwechslungsreicher als die Vorgänger. Gears of War 1, das ich erst vor kurzem nochmals in der Ultimate Edition gespielt habe, fühlt sich dagegen fast schon steif und altbacken an. The Coalition hat das bekannte Gears of War Gameplay-Gerüst genommen und es tatsächlich noch besser gemacht.
Lediglich die Roboter-Gegner, DeeBees genannt, fallen etwas aus dem Rahmen, da sie sich im Grunde wie Locust verhalten, aber leider nicht so schön bluten. Böse Zungen würden jetzt sagen, sie sind langweilig und unpassend. Spielerisch machen sie meiner Meinung nach keinen großen Unterschied, der düstere, schmutzige und brutale Grundton von Gears of War leidet aber definitiv unter ihnen. Ich kann jedoch Entwarnung geben: die Roboter sind lediglich anfängliche Platzhalter, bis die neue Bedrohung aufgetaucht ist. Danach darf wieder herzhaft gesägt werden.
Überhaupt steigert sich Gears of War 4 von Akt zu Akt. Ich würde es so formulieren: Nach einem gelungenen Prolog, der einige sehenswerte Stationen des Gears-Universums abklappert, schaltet das Spiel kurz in den Leerlauf, nur um danach (genauer gesagt ab Akt II) das Gaspedal bis zum Bodenblech durchzudrücken und in einem fulminanten Finale zu gipfeln. Aus Rücksicht vor Spoilern möchte ich gar nicht weiter darauf eingehen, aber es gibt einige wahnwitzige Actionmomente, spannende Feuergefechte, eindrucksvolle Schauplätze und spielerische wie inhaltliche Überraschungen, die mir ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert haben.
Technisch ist Gears of War 4 über alle Zweifel erhaben. Während in der letzten Konsolengeneration nahezu jedes Spiel die Unreal Engine 3 verwendete und ihre speckig-glänzende Grafik zur Schaut stellen durfte, ist Gears of War 4 in dieser Generation wahrscheinlich das erste wirklich große AAA-Spiel, das die neuste Unreal Engine nutzt. Als hauseigenes Entwicklerstudio von Microsoft hat The Coalition auch keine Mühen gescheut und ein audiovisuell beeindruckendes Spiel geschaffen. Der Stil bedient sich natürlich bei der alten Trilogie, ist weitgehend düster, blau-grau eingefärbt und gotisch bebaut. Setzt aber auch einige futuristische Aspekte und schwenkt teilweise in eine Art Sci-Fi-Version des viktorianischen Englands um. Zudem wurde die Farbpalette deutlich erweitert und verleiht dem Spiel einen eigenen, bunteren Look. Abwechslung wird hier großgeschrieben. Auf rein technischer Ebene überzeugt es durch eine sehr saubere und flüssige Optik mit vielen Details, atmosphärischer Beleuchtung und hübschen Grafikspielereien wie physikbasiertes Rendering, Global Illumination und was der Unreal Engine 4 Werkzeugkasten noch so hergibt. Das Ergebnis ist vielleicht nicht das grafisch eindrucksvollste Spiel überhaupt, aber ein hervorragend designtes und sauber umgesetztes Gesamtbild, das sich nicht vor der Konkurrenz verstecken muss und gerade auf der Xbox One zu den schönsten Titeln gehört. Mit entsprechender Hardware (4K HDR Fernseher und Xbox One S) bekommen vor allem die Lichteffekte, durch den Einsatz von HDR, noch etwas mehr Wirkkraft und Räumlichkeit verliehen. Ramin Djawadi, Komponist von Film- und Seriensoundtracks wie Game of Thrones, Pacific Rim, Westworld oder Iron Man, hat außerdem einen treibenden Score geschrieben, der das Geschehen musikalisch untermalt. Die Soundkulisse ist mehr als eindrucksvoll und die deutsche Synchronisation (mit deutschen Stimmen von u.a. Ben Affleck) professionell und hörenswert. Vorbildlich ist auch, dass The Coalition dem Singleplayer 1080p bei 30fps spendiert hat, um ein optisch noch besseres Bild abliefern zu können, während der Multiplayer mit 60fps läuft, was der Grafik zwar etwas Glanz raubt, dem Spielvergnügen aber definitiv zu Gute kommt.
Um ein abschließendes Urteil über den Multiplayer und Horde Modus geben zu können, werden wir noch mehr Spielzeit investieren müssen. Daher zunächst nur ein kurzer Ersteindruck: Im Multiplayer hat sich wenig geändert – was gut ist. Die Maps sind auf den ersten Blick ordentlich gebalanced und die neuen Waffen, sowie das erweiterte Movement fügen sich auch hier anstandslos in die Spielmechanik ein. Dazu sind Modi und Karten bereits jetzt sehr umfangreich. Im Horde 3.0 Modus hat man sich beim Klassensystem aus Gears of War: Judgment bedient, das man nutzen kann, aber nicht unbedingt muss. Es wirkt also nicht aufgesetzt oder gezwungen, kann auf höheren Schwierigkeitsgraden aber durchaus den entscheidenden Ausschlag geben, wenn die Gefechte anspruchsvoller und taktischer werden. Abgesehen von einigen Verbindungsabbrüchen und der Tatsache, dass der Credits Payout aktuell noch viel zu gering ist und man daher ewig braucht, um sich beispielsweise seinen heiß geliebten Waffenskin leisten zu können, erscheint die Multiplayerkomponente durchdacht und motivierend.
Fazit:
Gears of War 4 ist ein waschechtes Gears of War. Ich bin sogar verleitet es als den besten Teil der Reihe zu bezeichnen, denn gerade in spielerischer Hinsicht wurde sehr viel detailverbessert und an heutige Spielgewohnheiten angepasst. Etwas Kritik muss es sich aber dennoch gefallen lassen: Es revolutioniert nichts und ist auch nicht sonderlich originell, sondern lediglich eine dezente Weiterentwicklung. Die Story passt auf einen Bierdeckel (wahrscheinlich wäre sogar noch Platz übrig) und braucht sehr lange, eigentlich bis zum Schluss, um überhaupt erahnen zu lassen, wohin die weitere Reise geht. Oben drauf fehlt am Ende gefühlt ein abschließendes Kapitel. Da wurde anscheinend, um es in eine Trilogie fassen zu können, mitten drin die Schere angesetzt. Und dennoch weiß es zu begeistern. Spätestens als ich zum ersten Mal die Säge des Lancers anwarf und das altbekannte Rattern hörte, hatte es mich gepackt. Es sieht sehr gut aus, es bietet erstaunlich viel Abwechslung, es spielt sich einwandfrei und steigert sich im Verlauf der rund acht Kampagnenstunden immer mehr. Dazu bietet es einen 2-Spieler Kampagnen-Koop (Splitscreen und Online), etliche Multiplayer Modi, Horde 3.0 und reichlich freispielbare Skins für Charaktere und Waffen. Ein umfangreiches Rundumglücklichpaket, ein gelungener „Neustart“ und ein Gears of War, das Fans (der Franchise, aber auch guter Shooter im Allgemeinen) gespielt haben sollten.
(getestet von MiXer)