Mit Bleakmill Games versucht das nächste kleine Studio nach den Sternen am Indie-Himmel zu greifen, aber nicht mit einem Adventure in Pixel-Optik, sondern mit einem First-Person Shooter in bester Half Life-Manier und einer Optik, die eher ein deutlich höheres Budget vermuten lässt. Ob das alles mehr Schein als sein ist oder ob der Titel doch auf ganzer Linie überzeugen kann, klärt unsere Review.
Wir schreiben den 9. November 1989. Während draußen auf den Straßen Berlins die Mauer von West- und Ost-Berlinern zertrümmert wird, um die Wiedervereinigung zu feiern, schläft die Wissenschaftlerin Nora noch ihren Feierabend aus. Ihre verdiente Ruhe wird jedoch schnell von ihrem Kollegen Walter unterbrochen, der dazu keine guten Nachrichten für sie parat hält. Die Stasi ist auf dem Weg um alle Forschungen zu vernichten, damit nichts dem Westen in die Hände fallen kann. Alles, woran sie die letzten Jahre gearbeitet haben, soll einfach so verschwinden. So plötzlich wie das Telefonat begann, so endet es auch. Mit einem unguten Gefühl macht sich Nora sofort auf den Weg zum Labor, doch angekommen findet sie niemanden vor. Keine Stasi, keine Wissenschaftler und vor allem kein Walter. Nur Atlas, eine riesige Maschine und das Herzensprojekt der beiden ist im Betrieb und erschüttert dabei die komplette Nachbarschaft. Fest entschlossen ihren Partner zu finden, steigt Nora selber in die Maschine. Einen kräftigen Lichtblitz später findet sich die junge Wissenschaftlerin jedoch nicht mehr in Berlin wieder, sondern in einer alternativen Realität, in der Menschen einen Krieg gegen Maschinen führten und ihn scheinbar auch verloren. Willkommen in Hakavik.
In Industria schlüpfen wir in die Rolle von Nora, die auf der Suche nach ihrem Partner Walter in einer alternativen Realität strandet und sich dabei etlichen Gefahren und Hindernissen stellen muss. Dabei handelt es sich meistens um direkte Konfrontationen mit wild gewordenen Robotern, aber auch das eine oder andere Rätsel wartet darauf von uns gelöst zu werden. Über all dem schwebt aber die starke Narrative des Spiels, denn die Geschichte von Industria ist im Mittelpunkt. Diese wird größtenteils mit gefundenen Briefen und Dialogen zwischen Nora und einem rollstuhlfahrenden Fremden erzählt, der uns in der unbekannten Umgebung mit hilfreichen Hinweisen durch die verlassene Stadt führt. Diese dient, wie schon damals City 17 in Half-Life 2, nicht nur als virtueller Schauplatz, sondern ist auch der heimliche Star des Spiels. Die Vermischung aus fast schon alienartiger Sci-Fi Technologie mit alteuropäischen Häuserfassaden, bleibt dabei über die Spielzeit frisch und interessant, erzählen aber eben auch von den Folgen des Konfliktes um Hakavik.
Treffen wir dabei auf die Blechbüchsen, greifen wir auf unser Waffenarsenal zurück, welches recht überschaubar und ohne großartige Überraschungen ausfällt. Da hätten wir eine Spitzhacke für den Nahkampf, die typische Pistole, Schrotflinte, Maschinenpistole und ein Scharfschützengewehr. Diese erfüllen auch alle ihren Zweck und haben ihren Nutzen, da die Vielfalt der gegnerischen Seite eben auch eher die klassischen Bedürfnisse erfüllt, ohne großartige Experimente zu versuchen. Die Kämpfe fühlen sich dabei überraschend gut an und nicht wie ein Fremdkörper, was vor allem daran liegt, dass die Waffen alle auch den nötigen Wumms haben. Gerade die Schrotflinte und das Scharfschützengewehr durchsieben die Killermaschinen wie ein Messer durch die heiße Butter. Aber Obacht, denn einstecken kann Nora auch nicht viel und eine Gesundheitsregeneration fehlt ebenso im Spiel. Als Ersatz für Medipacks und Charger dienen dabei kleine rote Fläschchen, von denen wir maximal drei gleichzeitig mit uns führen können.
Abseits von den Actionpassagen erwarten uns aber auch kleinere Puzzle, die teilweise eher in Richtung typischer Schalter-Rätsel gehen, aber auch hier und da ein bisschen mehr von uns verlangen. So müssen wir zum Beispiel relativ früh im Spiel ein Ventilrad vom Rostbefall befreien, um es in Bewegung zu bekommen. Zum Glück befindet sich im Nebenraum ein kleines Labor, mit dem wir uns die passende Säure zusammen mischen können. Vorausgesetzt, wir lesen uns die Anleitung genau durch und verbinden die richtigen Chemikalien. Diese seltenen, aber hervorragenden Rätseleinlagen lockern den Spielfluss zwischen Erkunden und Schießen so gut auf, dass ich gerne mehr davon gesehen hätte. Allgemein macht Industria einen sehr guten Job dabei, die verschiedenen Gameplay-Mechaniken in einen Guss zu packen, was zu einem organischen Spielerlebnis führt.
Wenn man an einer Stelle das kleine Entwickler-Team hinter Industria merkt, dann an der Technik. Zwar sieht der Titel auf dem ersten Bild mehr nach Triple-A als Indie aus, doch gibt es etliche Unsauberkeiten was die Performance, aber auch was die Implementation von Texturen und Beleuchtung angeht. Nicht selten treffen wir auf Texturen, die nicht ganz so sauber gesetzt wurden und hier und da spinnt die Beleuchtung, was schnell für unschöne Szenen sorgen kann. Zum Glück sind dies aber alles Dinge, die die Entwickler in naher Zukunft mit Patches ausbessern können, was auch teilweise schon passiert ist seit Veröffentlichung. Abseits davon ist die Präsentation des Titels aber wirklich erstaunlich und auch alle Sprecher liefern einen mehr als soliden Job ab. Gerade die etlichen Funksprüche zwischen Nora und dem mysteriösen Fremden lockern immer wieder das Suchen nach Walter auf. Mehr im Hintergrund bleibt dabei die Musik, die in erster Linie das Spiel mit leichten Ambient Stücken untermalt. Passend zum Spiel, aber auch eben nichts was großartig hängen bleibt.
Industria ist seit dem 30. September für PC via Steam, Epic Games Store und GOG erhältlich.
(getestet von Para)