Während Ubisoft immer wieder betont, ihre Spiele seien nicht politisch, gründet der Ex-Entwickler des großen Publishers Yoan Fanise zusammen mit seiner Frau Anne-Laure Fanise das Studio DigixArt und verschreibt sich politischen Botschaften. Ihr Projekt Road 96 erzählt auf dem PC und Switch die Geschichte von Jugendlichen, die während politischer Unruhen aus ihrem Heimatland fliehen wollen. Wir begaben uns mit ihnen auf diesen Roadtrip und über unsere Abenteuer erfahrt ihr im Test.
Videospiele und Politik sind für sich oft genug ein hitziges Thema, kommen die beiden Bereiche zusammen, wird es schnell kompliziert und oftmals brisant. Die einen nutzen Videospiele als Flucht vor der Realität oder um etwas abzuschalten und wollen von Politik in ihrem Hobby nichts wissen. Als Konsequenz bewerben Publisher ihre Spiele mit einer Politikfreiheit, die sich wegen der politischen Kulissen schwer nachvollziehen lässt. Road 96 umschifft schwierige Themen nicht. In einer Zeit, in der Tausende Menschen aus dem Taliban-Regime Afghanistan fliehen wollen, in einer Zeit, in der Mauern auf Kosten der Humanität errichtet werden, um wirtschaftliche Interessen zu schützen, in einer Zeit, in der sich die nationalen politischen Fronten immer weiter verhärten, greift Road 96 gerade diese Dinge auf.
Schauplatz ist hier Petria und erinnert geographisch mit seinen roten Canyons und hochgewachsenen Wäldern an die Vereinigten Staaten und die Grenze zu Mexiko. Politisch sind wir von den USA der letzten Dekade auch nicht weit entfernt. Den Präsident ist ein selbstverliebter Wirtschaftsboss, der einen Polizeistaat errichtet. Die Medien vertuschen die Gewalt, die er auslöst, und seine sozialdemokratische Gegenkandidatin wird diffamiert. Wen wundert es bei solchen dystopischen Zuständen also, dass die Jugend einen Ausweg sucht und über die Grenze flüchten will.
Wir starten das Spiel als namenlose Silhouette eines Teenagers. Ohne Geld, Obdach und Gesellschaft wagen wir die Reise bis zur Grenze. 2000 Meilen trennen und von einem neuen Leben. Ein riesiger Berg ragt aus dem Horizont hervor, und soll uns mit jedem Schritt bis zur Grenze entgegenkommen. In First Person starten wir unser Abenteuer in einer wunderschön stilisierten Welt.
Schnell raubt uns die harte Realität aber die Wanderlust. Wir werden vor die Wahl gestellt, ob wir mit Bus, per Anhalter oder zu Fuß die Reise antreten wollen. Mit mickrigen $6 in der Tasche entscheiden wir uns auf eine kostenfreie Mitfahrgelegenheit zu warten. Wer uns am Steuer erwartet, ist eine Überraschung. Jeder Charakter überzeugt aber mit viel Persönlichkeit und einem interessanten Hintergrund. Immer wieder konfrontiert uns das Spiel mit kleinen Zwickmühlen. Bestehlen wir die Menschen, die uns helfen, um unser Ziel zu erreichen? Verraten wir in den Dialogoptionen unsere Werte, um dem Gegenüber zu imponieren? Road 96 lebt von diesen Entscheidungen, die uns erschreckend nah an reale Probleme erinnern.
Aufgelockert wird das alles durch kleine Minispiele in vielen Szenen. Mal verdienen wir uns etwas als Barkeeper dazu oder vergnügen uns bei einem kleinen Fußballspiel. Meistens funktionieren solche aufgesetzten Gameplayelemente weniger gut, hier haben sie für mich ihren Zweck erfüllt und wurden relativ passend in das Geschehen eingebettet.
Haben wir unser Ziel erreicht, ist das Spiel aber noch lange nicht vorbei. Wir erleben die Reise über die Grenze aus der Perspektive unterschiedlicher Jugendlicher, die auf die gleichen Charaktere treffen können und eigene zufällig generierte Situationen erleben. Der Fortschritt wird hierbei teilweise übernommen. Ein flüchtender Teenager kann uns beispielsweise im Hacking ausbilden. Im nächsten Durchgang behalten wir dann diese Fähigkeit und können zuvor verschlossene Türen knacken. Dadurch wächst schnell die Motivation für eine nächste Runde, was wir so oder so ähnlich von Rogue-Lites kennen.
Besonders ansprechend ist die audiovisuelle Darstellung. Man merkt direkt, dass hier Veteranen am Werk waren. Das Art Design ist klasse und lädt zum Erkunden ein, schafft Momente der Bedrohung, Trauer und Freude. Unterstrichen wird das durch den effektvollen Einsatz von Musik. Jede Reise hat ein musikalisches Thema mit emotionalen Tracks aus dem Singer-Songwriter-Genre. Wer die Telltale-Adventures oder Life is Strange in dieser Hinsicht geliebt hat, wird auch hier glücklich werden.
Dem ein oder anderen könnten die Reisen etwas zu kurz sein. Ich persönlich fand es überwiegend genau richtig. Die Dialoge sind auf den Punkt gebracht, es gibt keine Spielzeitstreckung und somit kommt keine Langeweile auf. Vielleicht kommt dadurch aber der Survival-Aspekt etwas kurz. Es wäre sehr wirkungsvoll gewesen hier längere Perioden der Einsamkeit, Angst und Armut zu vermitteln, um die Botschaft zu bekräftigen. Aber auch in seiner Kürze drückt Road 96 die richtigen Knöpfe, um die Flucht unterhaltsam und konstruktiv zu inszenieren.
(getestet von eape)