Three Fourths Home ist das aktuelle Spiel des Entwicklerduos [bracket]games, bestehend aus dem Autoren und Game Designer Zach Sanford und dem Musiker Neutrino Effect. Zusammen widmen sie sich experimentellen Projekten und wecken mit ihrem neusten Game das Interesse der Indieszene. Wir haben uns für euch über den Tellerrand gewagt und berichten in unserem Test über unsere Erfahrungen.
Der schwere Regen prasselt energisch gegen die Motorhaube, übertönt die dumpfen Beats des Autoradios und reißt mit jedem Tropfen in seiner hastigen Unregelmäßigkeit offene Wunden auf. Eigentlich wollte sie bei diesem Ausflug all den Schmerz der Vergangenheit verarbeiten, zumindest vergessen, sich von vergangenen Problemen verabschieden und den Blick in die Zukunft richten, doch die trübe Gischt des aufbauenden Gewitters verschlingt in seinem Nebel nicht nur die verdorrten Maisfelder am Straßenrand, sondern auch jeden klaren Gedanken.
In diesem Moment ist es die besorgte Mutter, die sie mit ihrem Anruf zurück in die Gegenwart holt. „Wo steckst du so spät?“, „Was suchst du gerade dort?“
Sie weicht den Fragen aus, antwortet nur so viel um ihre Mutter zu beruhigen. Im Hintergrund hört sie ihren alkoholisierten Vater und wenig später ihren aufgeregten kleinen Bruder. Es bleibt nicht beim Sturm, in der Ferne heulen wehmütig die Sirenen und warnen vor heranziehenden Tornados.
Three Fourths Home ist spielerisch nicht viel mehr als ein interaktives Telefonat. Es ist eine Kurzgeschichte oder eine Novelle, die mit minimalistischen Graustufen, sanfter bis drohender Musik und einem Gespräch mit Mutter, Vater und dem kleinen Bruder eine Familiengeschichte erzählt. Der voyeuristische Aspekt des Aufklärens der Alltagsdramen steht hier im Vordergrund. Mit gezielten Fragen erfährt man mehr über die Beziehungen und die Vergangenheit der vierköpfigen Familie, während seltsam anmutende Andeutungen in Sprache, Klang und Bildern auf ein übergreifendes Geheimnis hinweisen.
Mehr als eine Stunde Spielzeit muss für die Hauptgeschichte nicht eingeplant werden. Der Epilog der Extended Edition gibt weitere Einblicke in das Drama und ergänzt die Story innerhalb einer Viertelstunde um eine neue clevere inszenatorische Perspektive.
Vielmehr sei nicht verraten. Mit weniger als zwei Stunden Umfang tut man sich und der Erfahrung nur Gutes, wenn man weitestgehend uninformiert und unbelastet an das Spiel herangeht.
Fazit:
Die beiden Entwickler bezeichnen das Spiel als ‚visual short story‘ und ich denke, es kommt dem am nächsten, wenn man hier Prosa erwartet, die pointiert visualisiert wird. Three Fourths Home ist ein Experiment, das den offenen Nischengamer ansprechen wird. Vielen Spielern kann ich diesen avantgardistischen Titel nicht weiterempfehlen, gleichzeitig sollte aber jeder, der sich für die Entwicklung der Videospiele interessiert und ein eigenständiges Erlebnis sucht, das frei zu interpretieren ist, dem Spiel eine Chance geben. Es ist ein unscheinbarer, aber wichtiger Titel für die Branche.
(getestet von eape)