Mit Weird West liefern die WolfEye Studios in Zusammenarbeit Publisher Devolver Digital ihr Videospieldebüt ab. Dabei handelt es sich aber um keine blutigen Anfänger, sondern um das neue Studio von Arkane Studios Mitbegründer und Creative Director Raphaël Colantonio. Da überrascht es niemanden, dass ihr erster Titel einige Parallelen davon aufweist, wofür Arkane mittlerweile bekannt ist. Nämlich das Sub-Genre der Immersive Sims. Wir haben uns den Cowboyhut aufgesetzt, an der Revolvertrommel gedreht und verraten euch im Test, ob Weird West eigenständig genug ist oder sich an der Vergangenheit messen muss.
Eigentlich hatte Jane Bell ihre alten Tage als Kopfgeldjägerin hinter sich gelassen, doch als sie eines Tages von einem brennenden Schmerz aus dem Schlaf gerissen wird, holt ihre Vergangenheit sie schnell wieder ein. Nicht nur ziert plötzlich ein mysteriöses Brandmal ihren Nacken, sondern sind Mitglieder der gefürchteten Stillwater Gang Mitten in der Nacht aufgekreuzt und haben Jane’s Ehemann entführt und ihren gemeinsamen Sohn direkt vor Ort hingerichtet. Fest entschlossen, den Tod ihres Sohns zu rächen und ihren Mann aus den Fängen der Banditen zu befreien, macht sie sich auf den Weg in die Weiten des wunderlichen Westens.
Weird West ist WolfEye’s eigener Twist auf ihre Immersive Sim Wurzeln, die Studio-Chef und Creative Director Raphaël Colantonio nach dem Verlassen von Arkane Studios scheinbar nicht ablegen konnte. Zum Glück wohlgemerkt, denn auch wenn der Titel durch seine Iso-Perspektive mehr wie ein klassisches CRPG wirkt und dies auch einen Einfluss auf das Debüt des Studios hat, ist Weird West im Herzen immer noch näher an Arkane’s Dishonored oder Prey. So lässt sich mit fast alles in irgendeiner Form interagieren, unsere Umwelt reagiert dabei auch auf unsere Entscheidungen und fast immer gibt es irgendwie einen anderen Weg, den man einschlagen kann, um leichter an sein Ziel zu kommen. Selbst wenn es sich dabei einfach nur um einen einfachen Schornstein handelt, der uns die Suche nach dem richtigen Schlüssel erspart.
Im Mittelpunkt der mysteriösen Geschichte des Spiels stehen die fünf verschiedenen Protagonisten, in deren Rollen wir nach und nach schlüpfen, um das große Geheimnis des wunderlichen Westens aufzudecken. Da hätten wir die bereits erwähnte Kopfgeldjägerin Jane Bell, den Schweinemenschen Cl’erns Qui’g, Ureinwohner Across Rivers, Werwolf Desidério Ríos und die Kultistin Constance Driftwood. Alle fünf Charaktere repräsentieren dabei eine andere Perspektive auf die Welt. Während Bell und Ríos (jedenfalls in seiner menschlichen Form) recht normal aufgenommen werden von der Bevölkerung, sieht das für Qui’g, Rivers und Driftwood eher anders aus. Sie sind Außenseiter, teilweise gehasst und gefürchtet und das wird uns auch recht früh vermittelt. So kann Qui’g nicht einfach durch die Straßen spazieren, sondern muss noch Gesetzeshüter und Zivilisten erstmal aus dem Weg gehen. Jeder der schon einmal Vampire: The Masquerade – Bloodlines als Nosferatu gespielt hat, wird das bekannt vorkommen. Diese Unterschiede zwischen den jeweiligen Protagonisten spielt natürlich auch im eigentlichen Gameplay eine gewisse Rolle. So verfügt jeder über vier spezielle Fähigkeiten, die für ihn einzigartig sind. Rivers kann z.B. einen astralen Bären oder einen Tornado beschwören, während Driftwood u.a. Projektile mit einem magischen Schild blockiert. Und was wäre das für ein Spiel, von ehemaligen Arkane Entwicklern, wenn der beliebte Blink Skill aus Dishonored fehlen würde? Heißt hier natürlich anders, aber funktioniert recht ähnlich und macht uns dabei auch noch für kurze Zeit unsichtbar.
Ein ebenso wichtiger Faktor in der Wahrnehmung unserer jeweiligen Helden ist dabei ihre Reputation. Diese kann entweder in einem positiven oder negativen Bereich liegen, je nachdem wie wir Aufgaben erledigen oder bei dem Ausführen eines Verbrechens ertappt werden. Fällt unser Ruf dadurch ins bodenlose, bezahlen wir mehr bei Händlern, NPCs wollen sich teilweise gar nicht erst mit uns unterhalten und irgendwann treten Gesetzeshüter auf den Plan und sogar Kopfgeldjäger verfolgen uns durch die Prärie. Lassen wir uns aber beim Stehlen nicht erwischen, helfen Menschen in der Not und liefern selber böse Buben entweder tot oder lebendig beim Sheriff ab, steigen wir langsam in der Gunst der Bevölkerung auf und selbst Qui’g kann dann unbesorgt am helllichten Tag sich durch die Kleinstädte bewegen. Neben dem allgemeinen Reputation-System können wir uns auch noch sogenannte Freunde fürs Leben verdienen. Dies passiert meistens, wenn wir bestimmten Charakteren aus einer sehr schwierigen Lage helfen oder eine größere Nebenhandlung abschließen. Haben wir so einen Freund und landen mal selber in einer aussichtslosen Situation um Leben und Tod, kann genau diese Person plötzlich auftauchen und uns tatkräftig zur Seite stehen. Das genaue Gegenteil kann aber auch passieren und das nennt sich dann Vendetta, quasi ein Feind auf Lebenszeit. Eine Vendetta wird uns gegenüber ausgesprochen, wenn wir u.a. einen Kopfgeldauftrag lebendig zum Sheriff bringen oder eine Banditen-Gang auslöschen und dabei paar fliehen lassen, die uns darauf die Rache schwören. Ab da an können wir uns nicht mehr sicher sein, dass wir beim Betreten einer eigentlich sicheren Stadt, nicht plötzlich um den Haufen geballert werden.
Letzteres spielt natürlich eine große Rolle in Weird West, denn hinter jeder Ecke können allerlei Gefahren lauern. Banden, Kannibalen, Kultisten, Geister, Zombies oder auch einfach nur wilde Tiere durchstreifen die Steppen, Minen und Wälder des wunderlichen Westens. Während die meisten Immersive Sims dabei auf Action in der First-Person setzen, steuern wir hier unsere Protagonisten über die Iso-Perspektive, was dafür sorgt, dass sich der Titel hier gameplaytechnisch mehr wie ein Twin-Stick Shooter anfühlt, was gerade für das Genre eher neu und ungewohnt ist. Dieses Experiment seitens WolfEye, welches wahrscheinlich eher aus Ressourcengründen getroffen wurde, geht auch leider nicht völlig auf. Nicht nur ist die Steuerung nicht genau genug für diese Art von Action, sondern beißt sich auch die chaotische Natur der Kämpfe mit dem restlichen Gameplay. Wie bereits erwähnt, verfügt jeder unserer Hauptfiguren vier Fähigkeiten, die wir im Kampf einsetzen können, doch haben wir in den seltensten Fällen kaum Zeit dazu sie wirklich effektiv einzusetzen. Jedenfalls die meisten davon, die einen präzisen Einsatz verlangen. Flächendeckende Zauber, wie z.B. River’s Tornando, sorgt so oder so für genug Zerstörung, aber andere Fähigkeiten, wie Jane’s Roundhouse Kick oder Pigman’s Anstürmen gehen dabei nicht selten ins Leere. Hinzukommt, dass sich die künstliche Intelligenz auch ständig in Bewegung befindet. Deckungen werden vielleicht für 1-2 Sekunden genutzt, sonst wird sich konstant von uns weg- oder hinbewegt, ohne dass sich ein wirkliches Muster erkennen lässt. Das hatte dann zur Folge, dass ich das ganze Spiel mit jedem Charakter denselben Spielstil verfolgt hab, gerade in den Kämpfen. Der beste Revolver wurde ausgerüstet und in Zeitlupe via Ausweichrolle eine Trommel nach der nächsten in die zahllosen Gegnermassen entladen. Sah cool aus, bisschen wie in Max Payne, aber das volle Potenzial der fünf verschiedenen Protagonisten, mit all ihren einzigartigen Fähigkeiten, wurde hier leider nicht ansatzweise ausgereizt.
Durch die weit entfernte Kamera, bewegen wir uns als ferner Beobachter über das Geschehen, was uns einen besseren Überblick über all die verschiedenen Biome des Spiels verschafft. Da hätten wir die typischen Kleinstädte, die man aus jedem Wild West Film kennt, die meistens nur aus einer großen Hauptstraße und paar Häusern und Geschäften bestehen. Dazu folgen dann noch dunkle Minen, Höhlensysteme, verborgene Tempel, Sümpfe, Wälder, Kloster, Farmen und sogar ein verfluchtet Anwesen wartet darauf, von uns erkundet zu werden. Klingt doch nach einer Menge und trotz allem hat man sich an all dies relativ schnell satt gesehen, was vor allem an den sehr ähnlichen Aufbau derGebiete liegt. Klar, Städte wurden damals eben so gebaut, aber diese Erklärung passt eben nicht zu den natürlichen Arealen. Gerade Höhlen und Minen kennt man nach den ersten zwei Besuchen schon auswendig und selbst Erzvorkommen findet man an der exakt selben Stelle wieder vor. Level-Design technisch kann WolfEye also hier die Arkane Wurzeln nicht ansatzweise fortführen. Ebenso fehlt in der Präsentation die nötige Kreativität, die man bei so einem Setting aus Horror und Wilden Westen erwarten könnte. Zwar fährt das Spiel so ab der Mitte etwas auf, es bleibt aber eben bei diesen zwei bis drei Einzelfällen, die wirklich herausstechen. Mehr Mut zum wunderlichen wäre hier von Vorteil gewesen. Was die allgemeine Technik angeht, liefern die Entwickler einen soliden Job ab. Es läuft gut und sieht für einen Indie-Titel aus der Iso-Perspektive auch völlig zufriedenstellend aus. Spiele mit komplexeren Mechaniken neigen ja auch nicht selten dazu, recht anfällig für Bugs zu sein und dies kann ich Weird West nicht attestieren. Weder waren Quests nicht abzuschließen, noch sind Charaktere plötzlich verschwunden. Nur zwei Abstürze hatten mich dann mal kurz herausgeworfen, aber selbst die waren durch die regelmäßigen Autosaves zu verschmerzen. Für den Soundtrack ist Matt Piersall aka Choose Hellth verantwortlich, der ebenso seine alte Heimat Arkane für WolfEye verlassen hat und nun hier als Audio Director und zum größten Teil als Komponist fungiert. Wohlgemerkt zum größten Teil, denn neben Piersall stammen einige Songs von der Band Weird Wolves, die aus Musikerin Ava Gore und WolfEye Studio-Chef Raphaël Colantonio besteht. Ähnlich wie bei Prey’s Mind Game und Semi Sacred Geometry, sind dabei die Nummern der zweiköpfigen Synth Rock Kapelle das musikalischen Highlight des Spiels und sorgen dafür, dass gewisse Momente einem noch länger im Gedächtnis bleiben.
Weird West ist seit dem 31. März für PC, Playstation 4 und Xbox One erhältlich. Getestet wurde die PC-Version.
(getestet von Para)