Wolfenstein: Youngblood ist für The New Colossus, was The Old Blood für The New Order war, ein Spinoff, das vom bekannten Gameplay schöpft und doch ganz eigene Wege geht. Und um nicht um den heißen Brei herumzureden: Youngblood führt mit einem dominierendem kooperativen Modus nicht nur erstmals seit dem Serienreboot eine Multiplayerkomponente ein, sondern erreicht als Game-as-a-Service mit etwas unliebsamen Mechaniken und Praktiken auch die turbulenten Sphären der Moderne.
Das wird einem auch direkt zum Spielstart klar, denn von der Struktur eines klassischen Singleplayerspiels ist auch für Solisten nicht mehr viel übrig geblieben. Das Spiel wird nicht traditionell einfach gestartet, sondern gehostet. Hier wählen wir dann aus, ob wir online nach einem Mitspieler suchen wollen oder uns offline mit einem KI-Partner begnügen. In jedem Fall entscheiden wir uns für eine der beiden Zwillingsschwestern und Töchter des berühmten Nazi-Jägers B.J. Blazkowicz, die sich auf der Suche nach ihrem vermissten Vater machen. Zusätzlich wählen wir individuelle optische Merkmale und unsere Startfähigkeiten und Waffen.
Ingame ist dann erstmal auch für konservative Gamer alles halb so schlimm. Das Spiel startet mit einer hochwertig produzierten Introsequenz, die sich hinter den Hauptablegern nicht verstecken muss. Während wir in die Nazi-verseuchte Welt von Wolfenstein eingeführt werden, fällt auf, dass sich auch auf der inhaltlichen Ebene mehr als nur der Protagonist geändert hat. Mit den jugendlichen Schwestern wechselt auch der Ton der Serie. Der Humor ist (noch) derber, direkter und schlichtweg dümmer, – was nicht schlecht sein muss. Aber die Balance aus Ernsthaftigkeit, Dramatik und grenzüberschreitendem Humor gibt das Spiel zugunsten Letzterem an dieser Stelle auf.
Die Einstiegsmission hingegen hätte auch direkt aus The New Colossus stammen können. Wir ballern uns mit einem großen Waffenarsenal im Blutrausch durch SS-Offiziere, die Schutzpolizei, genmanipulierte Super-Nazis, Reichsroboter und schießwütige, sehr besorgte Zivilisten. Da die Kommandanten hier auch wieder Verstärkung herbeirufen können, bietet es sich wie in den Vorgängern an, sie schleichend auszuschalten. Der Fokus geht hier aber noch mehr Richtung Non-stop-Action, wobei Änderungen im Detail das Coop-Gameplay bereichern. So gibt es jetzt ein rudimentäres Skillsystem, um sich gegenseitig zu heilen oder zu boosten und verschiedene Schadensarten fördern koordinierte Teamangriffe.
Ist das Tutorial beendet, überrascht das Spiel mit einer offenen Spielwelt. Unser Hauptquartier ist im Pariser Untergrund. Hier nehmen wir Missionen an und benutzen die Bahn, um relativ frei die kompakten Hubareale zu erkunden. Wer hier an Spiele wie Dishonored und Prey erinnert wird, hat vielleicht auch den Entwickler dahinter bereits gerochen. Die renommierten Leveldesigner des Studios Arkane waren hier am Werk und erschufen offene Umgebungen, die auch ohne übertriebenem Sammel- und Checklistenwahn zum Erkunden einladen.
Leider sind die Qualitäten hier rein inhaltlicher Natur. Das belagerte, dystopische Paris traut sich optisch nicht über ein recycletes Wolfenstein 2 hinaus. Es fehlen hier zwischen Militärbasen und Häuserschluchten die Momente mit Wiedererkennungswert. Immerhin macht die Grafik trotz der etwas eintönigen Assets eine sehr ansehnliche Figur und zumindest musikalisch überzeugt das Spiel mit elektronischen Kompositionen des Altmeisters Mick Gordon.
Aber nicht nur die Wiederverwertung des Vorgängers erinnert uns daran, dass es sich hierbei lediglich um ein 30€- Spinoff handelt. Nach der Spieleröffnung wird die Inszenierung stark zurückgefahren. Zwischensequenzen sind eine Seltenheit und die unterschiedlichen Charaktere erhalten nicht die Aufmerksamkeit, wie wir es von der Serie gewohnt sind.
Aber Youngblood will auch gar nicht alten Traditionen nachjagen, sondern sucht frisches Blut. Die Story rückt in den Hintergrund, aber dafür motivieren die neuen Rollenspielelemente. Auf unserer Vatersuche in Paris finden und verdienen wir Silbermünzen, um unsere Waffen aufzuleveln und spielerisch und optisch unserem Stil anzupassen. Erfahrungspunkte machen und kontinuierlich stärker und ergatterte Fähigkeitentoken investieren wir in bessere Skills. Skins und Gesten, die sich mit der Ingame-Währung, aber auch Echtgeld, erkaufen lassen, hinterlassen einen faden Beigeschmack bei dem einen, motivieren aber den anderen mit umfassender Individualisierung. Tägliche und wöchentliche Herausforderungen unterstreichen den Servicecharakter und lassen auf längeren Support hoffen.
Erwähnenswert ist die Releasepolitik. Wolfenstein: Youngblood erscheint sowohl wie gewohnt als USK-Version ohne verfassungsfeindliche Symbolik auf dem deutschen Markt als auch als internationale Version. Wir empfehlen hier die internationale Version, nicht wegen irgendwelcher Hakenkreuze und SS-Runen, sondern wegen der mehrsprachigen Synchronisation, die viel zur Atmosphäre beiträgt. Wer auf eine deutsche Sprachausgabe nicht verzichten will, greift zur USK-Version, muss dann aber Paris nicht von Nazis, sondern vom „Regime“ befreien.
Fazit:
Wolfenstein: The New Order hat die berühmt berüchtigte Serie erfolgreich mit einer abgedrehten, modernen Inszenierung neugestartet. Das Spinoff The Old Blood besann sich dann wieder auf traditionelle Werte und bot Daueraction ohne Abstriche. Youngblood ist jetzt die Antithese zu dieser Idee und krempelt als Spinoff die Struktur des weitestgehend linearen zweiten Teils komplett um. Tatsächlich bietet es mit den zwei kessen Blazkowicz-Schwestern junges Blut und verjüngt nicht nur den Ton der Story, sondern bringt mit viel Individualisierung, einer Premiumwährung, Rollenspielmechaniken und natürlich dem im Fokus stehenden Coop-Modus das Töten von Nazis nun endgültig in die neue Generation der Videospiele. Der Zeitgeist fordert hier seine Opfer, bietet aber gerade für kooperative Sessions ein gelungenes Gesamtpaket zu einem mehr als fairen Preis.
(getestet von eape)